Im Zweifel gegen den Angeklagten

Menschen, die kein Geld für einen Anwalt haben, müssen sich meist selbst verteidigen. Oft geht das ins Auge.

Die Frau ist mit ihrem Mann vor staatlicher Gewalt geflohen, hat eine herzerweichende Geschichte über ihr Leben zu erzählen. Ängstlich sitzt sie vor dem Richter. Sie versteht kaum was im Gerichtssaal vor sich geht, fühlt sich als Objekt. Sie zeigt im Gerichtssaal auf ihren Ehemann, der aus der Heimat mitgekommen ist. Er geht an Krücken. Die Frau spricht also den Richter an und sagt: "Ich möchte mich tausendmal entschuldigen." Sie habe nicht aus Spaß gestohlen bei Norma. Sieben Packungen Pistazien und vier Packungen Kaffee, das war die Beute. Die Frau sagt: Es habe einen Grund gegeben für diesen Diebstahl bei dem sie ertappt worden ist.

Es ist wie so oft vor deutschen Gerichten: Die Angeklagte ist alleine. Sie hat keinen Strafverteidiger, keine Strafverteidigerin. Niemand steht ihr zur Seite. Denn sie hat dafür kein Geld. Der Staat hat ihr auch keinen Pflichtverteidiger bestellt, weil es nur um ein vergleichsweise kleines Delikt geht, Warenwert: 36,99 Euro. Die Frau versucht also, sich selbst zu verteidigen. In einem Land, dessen Sprache sie nicht spricht. Sie sagt, vermittelt durch eine Dolmetscherin: "Mein Mann brauchte Kleidung." Für Winterkleidung hätte sie etwas zuzahlen müssen. 50 Euro. Deshalb habe sie die Pistazien und den Kaffee gestohlen. Um sie im Flüchtlingswohnheim weiterzuverkaufen und so an ein bisschen Geld zu kommen. "Sonst hätte ich das niemals getan."

Zack, höhere Strafe. Hätte die Frau mal lieber geschwiegen

Der Richter schaut verständnisvoll. Die Staatsanwältin weniger. Was die Angeklagte wahrscheinlich nicht weiß und was sie wahrscheinlich auch nicht wissen kann - im deutschen Recht ist es so: Wer eine Sache stiehlt, um sie weiterzuverkaufen, der kommt nicht milder davon, im Gegenteil: Der kann wegen "gewerbsmäßiger" Begehung belangt werden. Zack, Mindeststrafe 3 Monate.

Hätte sie mal lieber geschwiegen.

So erlebt man das oft vor Gericht. Menschen, die sich selbst verteidigen, und die sich um Kopf und Kragen reden. So ist es auch ein paar Wochen zuvor gewesen, im selben Gerichtssaal, auf der Anklagebank saß ein Mann der gegen einen Strafbefehl Einspruch erhoben hat. Es ging um den Diebstahl einer Rasierklingen, eines Duschgels und eines Rasierschaums. Um sich besser darzustellen , erzählte der Mann, dass er inzwischen einen guten Job auf dem Bau gefunden habe, 2000 Euro netto im Monat. Sprich: Seid beruhigt, in Zukunft werde ich nicht mehr stehlen müssen! Von mir geht keine Gefahr mehr aus!

Was er aber nicht wusste und was ihm wahrscheinlich auch niemand erklärt hatte: Geldstrafen werden in Deutschland immer proportional zum Einkommen berechnet. Das heißt, wer freiwillig erzählt, dass er neuerdings mehr verdiene, der löst damit eines aus: Zack, höhere Strafe. Die schlechteren Karten aufgrund der eigenen Einlassung hat bei der Urteilsverkündung niemand erklärt. Stattdessen nur: "Sie können innerhalb von einer Woche schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Berufung oder Revision einlegen. Für die Revision brauchen Sie einen Rechtsanwalt. Sie kriegen noch eine Chance, sich selbst zu verteidigen.

Deshalb: Frag den Strafverteidiger!



Eingestellt am 03.12.2022 von Klaus W. Spiegel
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